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Die zivile Verteidigung als Teil der Gesamtverteidigung der Bundesrepublik Deutschland

 

Anmerkung des Autors: Vor dem Lesen des folgenden Textes bitte ich darum, mein Vorwort zu lesen.

 

Grundlagen

Die zivile Verteidigung ist ein facettenreiches, umfangreiches und auch komplexes Thema. Grundlegendes Wissen kann man sich durch Studium der beiden entscheidenden Dokumente erwerben:

 

a) Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland, letztmalig erschienen am 12. April 1972. Herausgegeben durch das Bundesministerium des Inneren (BMI). Vorworte durch den damaligen Bundeskanzler Willy Brandt und den damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher.

b) Konzeption Zivile Verteidigung (KZV), die aktuelle Fassung erschienen am 24. August 2016. Beschlossen durch das Kabinett. Vorgestellt durch das Bundesministerium des Inneren (BMI) und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).

 

Nachfolgend werden einige wenige Punkte aus den Inhalten „herausgepickt“, die dem Autor wichtig erscheinen und eine Basisinformation darüber liefern, „worum es bei dem Thema geht“. Das Weißbuch erfasst detailliert den Zustand der zivilen Verteidigung im April 1972. Wie es sich für ein Weißbuch gehört wird Kritik dort geäußert, wo der gewünschte Ist-Zustand noch nicht erreicht werden konnte. Zudem werden die Kosten offengelegt. Die KZV dagegen ist eine Konzeption, also eine Absichtserklärung. Sie stellt bezüglich der Inhalte ein auf die Gegenwart bezogenes notwendiges Update dar. Eine Auflistung der vergangenen Kosten sowie Kostenschätzung für die Zukunft wird an dieser Stelle nicht vorgestellt. Dazu muss man sich mit den Haushaltsplanungen von Bund, Ländern und Kommunen befassen.

 

Ziele der damaligen Regierung waren Frieden, Freiheit, Unabhängigkeit und Unversehrtheit der Bundesrepublik Deutschland. Von deutschem Boden sollte, basierend auf den Erfahrungen des 2. Weltkriegs, nie wieder ein Krieg ausgehen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Weißbuchs existierten 2 Supermächte, Die USA und die UDSSR, die für unterschiedliche politische Systeme, Demokratie auf der einen und Sozialismus/ Kommunismus auf der anderen Seite standen. Die Konfrontation dieser Systeme mündete in den Ost-West-Konflikt, welcher im sogenannten, Jahrzehnte andauernden, kalten Krieg seinen Höhepunkt fand. Mit diesem einher ging ein gigantisches Wettrüsten einschließlich der Bildung riesiger Arsenale an Atomwaffen. Der Autor erinnert sich daran, dass es in seiner Jugend hieß, sowohl die USA als auch die UDSSR seien in der Lage, die Erde mehrfach in die Luft zu sprengen. Wahrlich ein bedrohliches Szenario.

Die geografische Grenze in Europa war zugleich die innerdeutsche Grenze zwischen der damaligen DDR und der Bundesrepublik. In diesem Spannungsfeld alleine zu bestehen erschien der Bundesrepublik unmöglich, woraus die Mitgliedschaft in der NATO als militärisches und politisches Bündnis westlich orientierter Länder entstand. Ihr gegenüber im wahrsten Sinne des Wortes stand die Gegenseite, die sich im sogenannten Warschauer Pakt organisiert hatte. Die Bundesrepublik verfolgte einerseits eine Sicherheitspolitik, die auf dem Gleichgewicht der Kräfte und Abschreckung basierte, andererseits eine Entspannungspolitik, die einen, möglicherweise globalen, Krieg verhindern sollte. Dabei war davon auszugehen, dass er in Europa auf deutschem Boden ausgetragen werden würde.

 

Die Sicherheitspolitik diente und dient noch heute der Gesamtverteidigung. Auf Seite 11 des Weißbuches ist zu lesen, dass die zivile Verteidigung untrennbarer und unverzichtbarer Teil davon ist. Die KZV nennt sich auf Seite 8 als zivilen Gegenpart zur Konzeption der Bundeswehr (KdB). Beide sollen Grundlage für eine Überarbeitung der „Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung“ in der Fassung von 1989 dienen. Diese werden in einem eigenen Beitrag zu behandeln sein.

 

Anmerkung des Autors: Nach Auflösung des Warschauer Pakts und rund 30 Jahre nach der Wiedervereinigung scheint es mir an der Zeit, dass man bezüglich der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland mal einen aktualisierten verbindlichen Rahmen fixiert, gerade weil das komplexe Thema Verteidigung in einer sich rasch ändernden Welt viele Akteure kennt, die möglichst alle am selben Strang in dieselbe Richtung ziehen sollten. Es ist zu erwarten, dass hier angesichts diverser politischer Interessenslagen und der in der gegenwärtigen Corona-Lage eher fehlenden finanziellen Mittel eine Mammutaufgabe ins Haus steht, um die man sich nicht gerade reißen wird.

 

Aufgaben

Die Aufgaben der zivilen Verteidigung sind:

Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsfunktionen,

Schutz des Menschen,

Sicherstellung der lebenswichtigen Versorgung und

Zivile Unterstützung der Streitkräfte.

 

Die KZV nennt darüber hinaus die Herstellung von Vernetzung, Befähigung und Verfügbarkeit leistungsfähiger Strukturen zwischen den Ressorts der staatlichen Ebenen und Betreibern kritischer Infrastrukturen zur Stärkung der gesamtgesellschaftlichen Handlungsfähigkeit in Krisenlagen. Hier wird also ganz klar gesagt, dass die zivile Verteidigung durch den Bund, den Ländern, den Kommunen und zivilen Agierenden im gemeinsam zu leisten ist.

Nachfolgend wird auch konkret die Gefahr von Cyber-Angriffen genannt und mit Nennung kritischer Infrastrukturen, zum Beispiel Anlagen zur Stromversorgung, auf die Gefahr hybrider Kriegführung. Die Älteren unter den Lesern werden sich erinnern, dass es 1972 noch kein öffentlich zugängliches Internet gab. Neben dem unbestreitbar großen Nutzen gibt es aber leider zum Beispiel auch die Möglichkeit, gezielt für Unruhe in der Bevölkerung zu sorgen. Genannt sei hier der populär gewordene Begriff „fake news“.

 

Im Anschluss an die Aufgaben benennt die KZV ausführlich die verschiedenen Bedrohungen im zivilen Bereich. Dies sind offene durch Gewalteinwirkung mit den verschiedensten Waffen, nichtoffene, für die sich der Begriff der asymmetrischen Kriegführung eingebürgert hat, und hybride Bedrohungen als Mischform. Daraus abgeleitet werden die zu treffenden Vorsorgemaßnahmen, die hier nicht näher betrachtet werden.

Daraus resultierend werden als bedarfsgerecht verfügbare Fähigkeiten gefordert:

Selbstschutz

Warnung

Baulicher Schutz

Brandschutz

Evakuierung/ Verteilung

Betreuung

Schutz der Gesundheit

Schutz vor den Auswirkungen chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Ereignisse (CBRN-Schutz)

Technische Hilfe

Objektschutz

Kulturschutz

 

Anforderungen an die Fähigkeiten:

Frei kombinierbar, modular geplant, flächendeckend disloziert oder schnell verlegbar. Technische Entwicklungen sind und Forschungsergebnisse sollen in die Weiterentwicklung einfließen.

Die KZV beschreibt nachfolgend diese Fähigkeiten detailliert und wie sie erreicht werden können.

 

Gesetzliche Grundlagen (Inhalte teilweise im Weißbuch)

Im Verfassungsrecht enthalten im Grundgesetz von 1949, ergänzt durch ...

die Wehrverfassung, abgebildet im 4. Ergänzungsgesetz von 1954 und im 7. Ergänzungsgesetz von 1956,

die Notstandsverfassung, abgebildet im 17. Ergänzungsgesetz von 1968.

 

Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie und dem Umgang mit dieser dürfte von Interesse sein, dass der Bund nach Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 GG die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung von Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten hat. Die Durchführung obliegt den Ländern als eigene Angelegenheit

 

In sogenannten einfachen Gesetzen:

Bundeskriminalamtsgesetz                                                                                                  1950

Verfassungsschutzgesetz                                                                                                      1951

Bundesgrenzschutzgesetz                                                                                                     1951

Wehrpflichtgesetz                                                                                                                1956

Bundesleistungsgesetz                                                                                                          1956

Landbeschaffungsgesetz                                                                                                       1957

1.Gesetz über Maßnahmen zum Schutze der Zivilbevölkerun                                                  1957

BGS-Ergänzungsgesetz                                                                                                          1965

Sicherstellungsgesetze für Wasserwirtschaft,Wirtschaft, Ernährung und Verkehr                     1965

Katastrophenschutzgesetz                                                                                                    1968

Änderungsgesetze zu den Sicherstellungsgesetzen  für Wirtschaft, Ernährung und Verkehr      1968

Arbeitssicherstellungsgesetz                                                                                                 1968

Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses                                  1968

 

Die Durchführung der Vorsorgegesetze obliegt regelmäßig den Ländern als landeseigene Verwaltung, als Beispiel sei das Ernährungsvorsorgegesetz (EVG) genannt.

Zum rechtlichen Rahmen gehört auch das Genfer Abkommen IV vom 12. August 1949, dem die Bundesrepublik beigetreten ist. Es regelt den Schutz von Zivilpersonen im Fall eines bewaffneten Konflikts. Dort ist auch nachzulesen, dass Krankenhäuser auf keinen Fall angegriffen werden dürfen.

Eine gute Übersicht über die gesetzlichen Grundlagen enthalten die „Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung“ in der aktuellen Fassung von 1989, Seiten 47 und 54 bis 64.

 

Wer hat den Hut auf?

Oberstes Koordinierungsorgan der Gesamtverteidigung ist der Bundessicherheitsrat, ein Kabinettsausschuss unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers/der Bundeskanzlerin.

Die Koordinierung der zivilen Verteidigung obliegt dem Bundesminister des Inneren, kurz der Bundesinnenminister. In seinem Namen und im Geschäftsbereich des Ministeriums handelt als oberste Behörde das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Als durchführendes Organ wurde mit Erlass am 25. August 1953 das Technische Hilfswerk errichtet.

Aus- und Fortbildung der Agierenden auf Bundesebene übernimmt vor allem die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz.

 

Kosten/ Ausgaben

Nur das Weißbuch lässt sich dazu aus. Von 1950 bis 1970 wurden 5,604 Milliarden DM für den Zivilschutz ausgegeben, das entspricht 2,862 Milliarden Euro. Die verschiedenen Ausgaben werden im Folgenden aufgelistet. Die Ausgaben wir anschließend mit denen für die militärische Verteidigung verglichen. Betrug das Verhältnis zwischen den Ausgaben für zivile zu militärische Verteidigung im Jahr 1955 1:16, so sank es im Jahr 1975 auf 1:48. Diese Zahlen an sich sind erst einmal nicht aussagekräftig. Das Weißbuch ist aber sehr ehrlich, was die Schilderung des Ist-Zustandes der zivilen Verteidigung angeht. Kurz: Es fehlte zum Zeitpunkt des Erscheinens an allen Ecken und Enden.

 

Probleme/Schwierigkeiten bei der Umsetzung der zivilen Verteidigung

Das Weißbuch weist zahlreiche Soll-ist-Abweichungen aus. Daraus wird keine Kritik abgeleitet, wohl aber die Notwendigkeiten der weiteren Entwicklung. Als Gründe dafür, dass der Pläne zum Zeitpunkt des Erscheinens nicht umgesetzt waren, werden genannt:

 

Zu wenig Personal. Die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement, auf das sich zum Beispiel das THW und die Rettungsdienste stützen sowie die freiwillige Mitarbeit im Selbstschutz, sind in der Bevölkerung nicht im erforderlichen Maß ausgeprägt.

Rückhalt/ Einsicht in die Notwendigkeit der Verteidigung in der Bevölkerung.

Finanzielle Ausstattung in Zeiten knapper Haushaltsmittel.

Fehlende beziehungsweise unzureichend ausgeprägte Strukturen.

 

Anmerkung des Autors zum Schluss: In der aktuellen Corona-Krise wurde bekannt, dass zum Beispiel keine Atemmasken bevorratet werden. Auch die Vorhaltung von Not-Krankenhäusern existiert im vorgesehenen Umfang nicht, und so weiter. Nach dem Ende des kalten Krieges wandelte sich die Bundeswehr, der in der Gesamtverteidigung immer klar der Vorzug gegeben wurde, zu einer Einsatzarmee, die entsprechend umorganisiert und ausgerüstet werden musste. Aktuell denkt man wieder über Landes- und Bündnisverteidigung nach. Leider hat man sich zwischenzeitlich von verschiedenen Fähigkeiten getrennt. So gibt es keine Heeresflugabwehr mehr, was zu Zeiten von Waffensystemen wie Gepard oder Roland mal eine der Stärken der Bundeswehr war. Also will man jetzt für teueres Geld verlorene Fähigkeiten wieder aufbauen. Wo soll das Geld herkommen? Wie bekannt ist, kostet uns die Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie mehrere hundert Milliarden Euro und ein Ende ist nicht abzusehen. Interessanter scheint mir aber die Frage, wie man das benötigte Personal bekommen will. Die aktuelle Planung sieht die Aufstockung der Bundeswehr um 18.000 Personen vor. Andererseits fehlen 50.000 Polizisten und Polizistinnen. Im Pflegebereich sieht es ähnlich aus, das Handwerk schreit nach Nachwuchs. Die Bevölkerung schrumpft aktuell nicht, weil der Bevölkerungsrückgang durch die Zuwanderung von Migranten ausgeglichen wurde. Was fehlt, sind Bereitschaft und Qualifizierung. Ich erinnere an Begriffe wie Bildungsnotstand oder Pisa-Studie, in welcher sich Deutschland regelmäßig nicht mit Ruhm bedeckte.

Mein persönliches Fazit: Das Thema Verteidigung wird Deutschland wohl nie loslassen und ich ziehe den Hut vor denjenigen, die sich qualifiziert damit befassen. Die Entwicklung bleibt spannend und ich interessiert.

 

Münster, den 30. Januar 2021

Uwe Titau

 

Die Dokumente können unter diesen Links geladen werden:

 

Weißbuch Zivile Verteidigung 1972

 

Konzeption Zivile Verteidigung

 

weitere Grundlagendokumente zum Problem der 'kritischen Infrastrukturen':

 

Kritische Infrastrukturen - Basisschutzkonzept

 

 

 

Umsetzungsplan KRITIS des Nationalen Plans zum Schutz der Informationsinfrastrukturen